Die Bilder aus den Kriegsgebieten in der Ukraine gehen um die Welt und begegnen uns überall. Der Krieg befindet sich 1.000 km vor unserer Haustüre auf europäischem Boden – dem globalen Norden unserer Welt. Die Bilder erinnern an das Ende der 90er Jahre in Europa. Anders als damals kann man jedoch heute über Social Media und Mass-Media alle Neuigkeiten ins Detail live und menschliche Grausamkeit in ihren Extremen verfolgen. Menschrechtsverletzungen sind allgegenwärtig und ohne Frage besonders dort präsent, wo Krieg, Zerstörung und Tod Thema sind. Zivilisten werden getötet, Wohnhäuser bombardiert, Menschen vertrieben und Menschenleben zerstört. Ein Land, das territorial etwa dasselbe Alter hat wie unseres, erfährt seinen eigenen Weltuntergang und gleicht Sodom und Gemorrah.
Wir sind schockiert über die Bilder, schauen jeden Tag, wie der Stand der Entwicklung im Krieg ist. Indes sehen wir Menschen aus der Ukraine in Not, in ihren eigenen Trümmern stehend, flüchtende Menschen, die schreiend und weinend ihr Schicksal beklagen und sind mit dem Leid direkt konfrontiert. In der Gewöhnung daran, diese News täglich zu lesen, zu hören und zu schauen nehmen weniger Menschen die eigenen Möglichkeiten wahr, die sich unmittelbar vor ihnen auftun, um zu helfen. Hinzu kommen einige Menschen, die wohl weniger von der Frage bewegt werden, “Was kann ich tun?”, als von der Frage “Was gibt es heute wieder Neues?”. Viele Ludwigsburger*innen schauen womöglich auch mit einer gewissen Ohnmacht auf die Geschehnisse, die sie in den Medien tagtäglich mitbekommen und wissen nicht, wie sie als Einzelne mit ihren begrenzten Möglichkeiten Menschen in Not helfen sollen. Oft wird auch vergessen, wie viel individuelle und politische Verantwortung auch der/die einzelne Bürger*in in einem demokratischen Gemeinwesen hat.
Die bereits eingegangenen Milliarden Euro an Geldspenden bundesweit für die Opfer des Krieges sind beachtlich, reichen aber alleine nicht aus, um das Leid zu stoppen. Viel zu oft wird der Krieg immer noch aus der Ferne betrachtet als etwas, das uns in Deutschland nicht direkt angeht. Wir informieren uns zwar und diskutieren viel, handeln jedoch wenig. Dabei sind die weltweiten Herausforderungen durch diesen Konflikt immens: Wir erleben nicht nur die größte Flüchtlingskrise in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg, sondern auch eine Bedrohung der Nahrungsversorgung für Millionen Menschen. Obendrein wächst die Gefahr eines nuklearen Schlagabtauschs.
Warmes Wasser, Elektrizität, eine funktionierende Gesundheitsversorgung, ein Leben in Demokratie und Rechtsstaatlichkeit – wir halten diese Dinge hier im friedlichen Ludwigsburg für selbstverständlich, während z.B. den Menschen in Mariupol all das genommen wurde. Wir dürfen durchaus Dankbarkeit empfinden angesichts unseres Lebens in Wohlstand und Freiheit, das erst im Laufe der letzten drei Generationen hart erkämpft wurde, aber: Dafür mussten in Deutschland zuerst Krieg und Diktatur überwunden werden, eine gigantische Aufgabe, vor der derzeit auch die Ukraine in ihrem Konflikt mit Russland steht. Die Tatsache ist: Jeden Tag herrscht auf unserem Kontinent Krieg, jeden Tag kommen weinende, traumatisierte und abgeschlagene Kriegsflüchtlinge nach Deutschland, die um ihr Leben gekämpft und gewonnen haben. Anstatt nur Zuschauer*innen zu sein für das Leid dieser Menschen, gebietet uns die Mitmenschlichkeit, unsere Unterstützung anzubieten und unsere Herzen für die Neuankömmlinge zu öffnen.
Überall im Land finden im Familien- und Freundeskreis derzeit Diskussionen darüber statt, wie sich der Krieg in der Ukraine auf Deutschland auswirken könnte und welche politischen Schritte als Reaktion darauf unternommen werden sollten. Amnesty International ist politisch neutral, dennoch vertreten wir klare Positionen zu dem andauernden Konflikt:
- Amnesty verurteilt die völkerrechtswidrige russische Invasion der Ukraine und fordert ein Ende dieses Angriffs. Alle am Völkerrechtsverbrechen der Aggression Beteiligten müssen zur Rechenschaft gezogen werden.
- Alle Konfliktparteien müssen sich strikt an das humanitäre Völkerrecht und die internationalen Menschenrechtsnormen halten. Menschenleben, Häuser und Infrastruktur der Zivilbevölkerung müssen geschützt werden. Wahllose Angriffe auf zivile Infrastruktur und der Einsatz von verbotenen Waffen wie Streumunition müssen aufhören. Humanitären Organisationen muss der ungehinderte Zugang ermöglicht werden, damit sie der betroffenen Zivilbevölkerung Hilfe leisten können.
- Die russische Führung muss die Menschenrechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit achten. Die Unterdrückung kritischer Stimmen, die sich gegen den Krieg positionieren muss ebenso beendet werden wie die Zensur der freien Presse. Friedliche Demonstrierende dürfen nicht willkürlich inhaftiert werden.
- Die Verantwortlichen für Kriegsverbrechen in der Ukraine müssen zur Rechenschaft gezogen werden. Die internationale Gemeinschaft ist gefordert, die Ermittlungen des Internationalen Strafgerichtshofs und der vom UN-Menschenrechtsrat eingerichteten Untersuchungskommission vollumfänglich zu unterstützen.
- Alle Menschen, die aus der Ukraine fliehen, müssen Zugang zu europäischen Ländern erhalten und angemessen aufgenommen werden. Dies muss für alle Menschen gelten, die im Kontext des Ukraine-Kriegs fliehen, unabhängig vom Pass oder der angenommenen Herkunft einer Person.
Unabhängig davon ist jede und jeder Einzelne dazu aufgerufen sich zu fragen, was wir ganz konkret für die Menschen in der Ukraine tun können.
In den Fokus rücken dabei oft die inzwischen mindestens 331.000 geflüchteten Menschen aus der Ukraine, die in Deutschland Zuflucht gefunden haben. Es sind vor allem viele Mütter mit Kindern, die oft orientierungslos und ohne Kenntnisse der deutschen Sprache hier eintreffen. Im besten Falle haben sie bereits Bekannte oder Verwandte in Deutschland. Viele brauchen jetzt Unterstützung beim Erlernen der Sprache, bei der Wohnungs- und bei der Arbeitssuche. Auch im Kreis Ludwigsburg sind bereits Geflüchtete eingetroffen.
Für die Grundwerte unseres Zusammenlebens einzutreten bedeutet, insbesondere dann aktiv tätig zu werden, wenn ein Konflikt in unserer europäischen Nachbarschaft diese Werte bedroht. Was heute den Ukrainer*innen widerfährt, kann morgen auch bei uns passieren. Dies ist die Mahnung aus unserer Geschichte als Deutsche. Wer Rechtstaatlichkeit und Frieden erlebt, Demokratie hochhält und Wertschätzung diesbezüglich empfindet, der kann diese Position nachvollziehen. Daraus erwächst das Bewusstsein, als Bürger*in seinen eigenen Möglichkeiten entsprechend Gutes bewirken zu können. Beistand und Trost zu spenden, Mut zu machen, für andere da zu sein und je nach eigenen Kapazitäten mitzuwirken, um Flüchtende zu unterstützen, setzt voraus, dass man sich offensiv für die Menschenrechte ausspricht. Die praktische Unterstützung für geflüchtete Menschen ist dabei eine Geste der Menschlichkeit, zu der uns auch die Erfahrung unserer Großväter und -mütter bzw. unserer Eltern im Nachkriegs-Deutschland verpflichtet.
Wirst du deine Hand ausstrecken zu den Opfern, deinen zukünftigen Arbeitskollegen, Mitstudenten und Mitstudentinnen, Nachbarn und Nachbarinnen? Stehst du ein für mehr Menschlichkeit im Alltag? Was tust du für Frieden, Gerechtigkeit und Freiheit in deinem persönlichen Umfeld? Das Engagement für die Menschenrechte bedeutet ein Eintreten gegen die Angst und für den Mut, etwas zum Besseren zu verändern in der Welt. Wir wollen weniger Zaudern und mehr humanitäre Tatkraft. Weniger Zuschauen. Mehr Zupacken. Wenn du also bereit bist, mit uns für die Menschenrechte zu streiten, dann lies hier weiter und erfahre, wie du jetzt aktiv werden kannst.